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“Bild” zahlt Leser-Touristen 500 Euro

“Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner beklagt heute, wenn wir ihn richtig verstanden haben, dass man als Politiker nirgends mehr unbeobachtet ist. Schuld daran sei: der “totale Tourismus”.

Wagner schreibt an Günter Verheugen, über dessen NacktFotos anscheinend “ganz Deutschland” diskutiert, ohne sie überhaupt gesehen zu haben:

(…) es gibt auf unserer Erde leider keinen Flecken mehr, wo ein verheirateter EU-Kommissar mit seiner Kabinettschefin unbegafft nackt baden kann. Wir leben nun einmal im totalen Tourismus, der auf Einzelschicksale keine Rücksicht nimmt.

Touristen knipsen alles, den schiefen Turm von Pisa und den nackten EU-Kommissar mit seiner ebenfalls nackten Bürochefin.

Ich wünschte, die Fotos gäbe es nicht. (…)

Zufälligerweise hat sich am vergangenen Sonntag auch der Komiker Michael Mittermeier über die Auswirkungen des, äh, totalen Tourismus geäußert. Auf SWR 1 sagte er:

Der “Bild”-Leser-Reporter ist meines Erachtens einfach eine böse, voyeuristische Aktion, die leider Gottes uns Leuten einfach schadet, uns Künstlern. Weil Leute dich wirklich verfolgen mit Foto-Handys. Und ich hab mich schon mit Leuten gestritten, die mich angemacht haben, weil sie sagen: Ey, wieso gönnst Du mir kein Foto, ich will 300 Euro verdienen, und da muss ich sagen: Das ist schon ‘ne ziemliche Sauerei. Weil: Wenn ich privat bin, bin ich privat. Und es geht nicht, jemanden zu fotografieren, wenn er im Tengelmann steht, ich meine, das ist wirklich eine böse Aktion.

Danke an Tim S.!

Blog-, Presse- und Leserstimmen (1)

…zur BILDblog-Aktion “BILD-Chef-Reporter”:

“Die Anwälte, so sie denn in Marsch gesetzt werden, werden argumentieren, dass es sich um eine Treibjagd auf eine Person handelt. Also etwas völlig anderes als die Leseraktion der Bild.”
Lawblog

“Von daher rufe ich die Bloggergemeinde zu einem Kai Diekmann-Ähnlichkeitswettberb auf. Bastelt etwas aus Kastanien, altem Gurkensalat, Gammelfleisch oder dergleichen.”
Weltenweiser

“Allein der Aufruf bzw. das Gedankenspiel mögen genügen, uns allen – im Besonderen auch Herrn Diekmann – zu verdeutlichen und in Erinnerung zu rufen, dass Nachstellungen solcher Art niemandes würdig sind.”
photoscala

“Papparazzis auf Schritt und Tritt – der Alptraum eines jeden Prominenten. Ausgerechnet für “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann könnte er jetzt Wirklichkeit werden.”
Spiegel Online

“Wägt man das Persönlichkeitsrecht von Kai Diekmann und das Interesse der Allgemeinheit an der Veröffentlichung der Fotos gegeneinander ab, so ist für das Überwiegen des allgemeinen Interesses an einer Veröffentlichung der Fotos in Ansatz zu bringen, dass der Aufruf, einen der Mitinitiatoren des Phänomens “Leserreporter” in allen Lebenslagen zu fotografieren, und letztlich auch die Veröffentlichung der Ausbeute, der wertvollen öffentlichen Auseinandersetzung mit diesem neuen Phänomen dienen.”
jurabilis

“Eine drastische Maßnahme.”
Blogruf

“Die Damen und Herren des BILDBlog haben sich vielleicht schon etwas zu lange und hingiebig mit der akribischen Analyse und Korrigierung der BILD-Zeitung beschäftigt — sie werden sich nämlich immer ähnlicher…”
Lückenbeißers Listen

“Die Aktion ist vermutlich witzig gemeint, hat für mich aber – genau wie die “Bild”-Aktion, die sie zu konterkarrieren sucht – einen deutlichen Geruch von Kesseltreiben und Volksaufhetzung.”
Turi2

“dann halt Photoshop”
YAMB

“Mein Stil ist sowas aber sowieso nicht – Gleiches mit Gleichem vergelten ist mir zu alttestamentarisch.”
cohu

“Wäre ja noch schöner, wenn diejenigen, die Rechte anderer verletzen, selbst Rechte hätten. Das käme einem Rechtsstaat gleich.”
LBR-Blog

“Die Frage ist, wie lange Diekmann den Spaß mitmacht. Geht er dagegen vor, so müßte er jedenfallls eigentlich seinen eigenen ‘Leser-Reporter’-Schwachsinn auch einstellen.”
j?!Log

  

Vom Risiko, ein “BILD-Leser-Reporter” zu sein

Das Presserecht ist unübersichtlich. Was ist erlaubt und was nicht? “Mehr noch als in anderen Rechtsgebieten verbieten sich pauschale Aussagen”, sagt der Berliner Medienanwalt Markus Hennig. Die “Bild”-Zeitung hat ihre Leser, die sie seit zwei Wochen mit Geld als “Leser-Reporter” anzuwerben versucht, über die Fallstricke nicht aufgeklärt — auch nicht über das juristische und finanzielle Risiko, das die Amateur-Fotografen eingehen.

Die “Bild”-Zeitung fordert neuerdings ihre Leser auf, selbst “Paparazzi zu spielen”. In der Beschreibung, welche Motive sie sich wünscht, schreibt sie u.a.: “Blitzte für Sekunden der Busen eines prominenten Stars unter der Bluse hervor?” Dürfte “Bild” solche Fotos überhaupt veröffentlichen?

Hennig: Die Veröffentlichung einer — versehentlich! — entblößten Brust ist in der Regel eine Verletzung der Intimsphäre und unzulässig. Es kommt aber darauf an: Ein so genanntes “Medienluder”, das sich öfters schon enthüllt oder in provozierenden Posen gezeigt hat, wird unter Umständen eine Veröffentlichung hinnehmen müssen, Angela Merkel dagegen nicht. Trägt ein Star auf einer medial beachteten Veranstaltung ein Kleid, bei dem ein Verrutschen quasi programmiert ist, wird die Veröffentlichung eher zulässig sein. Anders etwa, wenn die Prominente beim Supermarkteinkauf ihr Kind auf dem Arm trägt und das dann am Ausschnitt der Mutter zieht. Ist die Aufmachung des Fotos besonders herabsetzend (etwa Großaufnahme nur der Brustwarze mit sexistischem Kommentar) kann eine solche Veröffentlichung auch dann von der Betroffenen angegriffen werden, wenn das Foto an sich veröffentlicht werden darf.

“Bild” fragt weiter: “Wurden Sie Zeuge eines Großbrandes oder eines Unfalls?” Welches rechtliche Risiko geht man ein, wenn man an einer Unfallstelle das Foto-Handy zückt, um aufregende Bilder zu machen?

Hennig: Der Brand einer U-Bahn, eine Massenkarambolage usw. kann als zeitgeschichtliches Ereignis fotografiert und verwertet werden. Allerdings geht man das Risiko ein, das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Menschen zu verletzen, die deutlich erkennbar oder mehr als “Beiwerk” in der Bildkomposition sind. Es drohen dann im Fall der Veröffentlichung Unterlassungsansprüche, was bei Abmahnung durch Rechtsanwälte teuer werden kann. Deshalb sollten Fotos von Unfallbeteiligten nur dann veröffentlicht werden, wenn mit einer Einwilligung zu rechnen ist (Betroffene posieren, erheben keinen Einwand).

Insbesondere bei der Veröffentlichung von Aufnahmen von Verletzten, panikverzerrten Gesichtern usw. setzt man sich bei fehlender Einwilligung auch der Gefahr von Geldentschädigungsansprüchen aus, da derart entstellende Aufnahmen regelmäßig als schwerwiegende Rechtsverletzung angesehen werden.

Angenommen, die “Bild”-Zeitung veröffentlicht ein Foto, das gegen das Recht am eigenen Bild verstößt. Macht sie sich damit strafbar? Oder der Fotograf? Oder beide?

Hennig: Grundsätzlich ist eine persönlichkeitsrechtsverletzende Foto-Veröffentlichung nach § 33 Kunsturhebergesetz mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht. Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt. In der Praxis spielt diese Vorschrift des Nebenstrafrechts aber kaum eine Rolle.

Unter bestimmten zusätzlichen Voraussetzungen droht tatsächlich die Strafverfolgung, die wichtigsten Fälle sind die Formalbeleidigung durch ein veröffentlichtes herabsetzendes Foto oder die “Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen” etwa mittels einer erschlichenen Aufnahme in der Wohnung des Betroffenen.

Strafbar machen sich grundsätzlich Fotograf und die im Impressum gemäß Pressegesetz benannten verantwortlichen Redakteure.

“Bild” nennt ja auch die Namen und Wohnorte der Hobby-Fotografen. Müssen die im Fall einer juristischen Auseinandersetzung damit rechnen, dass Anwälte auch bei ihnen direkt vor der Tür stehen?

Hennig: Ja, denn “Störer” im Sinne des Persönlichkeitsrechts ist auch der Fotograf, der sein Foto zur Veröffentlichung an die Zeitung weitergibt.

Ist nicht eigentlich all das, was jemand auf der Straße sieht und mit seinem Foto-Handy fotografiert, automatisch öffentlich und darf deshalb auch in “Bild” (oder sonstwo) veröffentlicht werden?

Hennig: Nein, denn grundsätzlich ist jeder gegen die Veröffentlichung seines Bildes geschützt, wenn er nicht einwilligt. Abgebildet als “Beiwerk” einer Landschaft, als nicht besonders hervorgehobener Teilnehmer einer Demonstration oder anlässlich eines zeitgeschichtlichen bedeutenden Ereignisses muss aber auch eine Privatperson unter Umständen eine Veröffentlichung hinnehmen, allerdings nur kontextbezogen — nicht Jahre später in einem anderen Zusammenhang. Bei Prominenten ist der Spielraum größer, hier kommt es auf die Situation und insbesondere den sonstigen Umgang mit den Medien an.

Was muss ein Promi machen, um deutlich zu signalisieren: Ich bin zwar in der Öffentlichkeit, will aber ungestört sein und nicht fotografiert werden?

Hennig: Grundsätzlich reicht — bei privaten Anlässen — das Aufsuchen einer örtlichen Abgeschiedenheit. Darunter versteht man einen Platz, an dem auch andere, fremde Menschen anwesend sein können (z. B. Restaurantbesucher, Wanderer im Wald), aber der Prominente sich eindeutig nicht in der Öffentlichkeit bewegt. Es genügt also die Ecke im Restaurant, der Fitnessclub oder eine nahezu leere Waldlichtung, das Separee muss es nicht unbedingt sein. Es gibt Ausnahmen, bei denen trotzdem fotografiert werden darf, die aber für den Laien schwierig zu beurteilen und auch unter Juristen immer wieder streitig sind. So könnte man argumentieren, dass der konservative Familienminister, der die Ehe als einzig moralische Beziehungsform propagiert und seine “Bilderbuch”-Familie medial inszenieren lässt, bei einem heimlichen Restaurantbesuch mit seiner Geliebten fotografiert werden dürfe.

Innerhalb einer “breiteren” Öffentlichkeit, also etwa beim Flohmarktbesuch, haben auch Prominente grundsätzlich das Recht, bei privatem Auftreten nicht fotografiert zu werden. Es kommt aber ganz entscheidend darauf an, wie prominent die Person ist, wie offen sie sonst mit der Presse umgeht und ob die Tätigkeit in einem Bezug zur Bekanntheit steht. Bislang nahm die deutsche Rechtsprechung an, eine sehr prominente Person darf zum Beispiel auch beim Fahrradfahren im Park abgelichtet werden, mag sie durch Sonnenbrille und Hut auch signalisieren, dass sie nicht erkannt werden will. Durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshof in Sachen Caroline von Hannover ist jedoch klar gestellt, dass hier bei rein privaten Anlässen ein strengerer Maßstab anzulegen ist.

Eines der Fotos, das “Bild” veröffentlicht hat, zeigt angeblich den urinierenden Fußballspieler David Odonkor. Darf “Bild” sowas zeigen? Darf ich sowas fotografieren?

Hennig: Es kommt auf die Umstände an — und darauf, wie viel auf dem Foto tatsächlich zu erkennen ist. Hat der Fußballer sich deutlich zurückgezogen und musste er wirklich einem dringenden Bedürfnis nachgeben, darf auch ein Mann, der durch ein Ereignis wie die WM große Bekanntheit erlangt hat, nicht in einer derart intimen Pose abgebildet werden. Hätte er aber z. B. öffentlich demonstrativ auf die italienische Flagge uriniert, kann er sich gegen eine Veröffentlichung nicht zur Wehr setzen. Zwischen diesen beiden Extremen gibt es, wie immer im Presserecht, einen gewissen Argumentationsspielraum.

Generell ist das Fotografieren anderer Menschen nicht per se verboten, solange der bereits benannte “höchstpersönliche Lebensbereich” nicht tangiert ist. Ein Prominenter muss jedoch stets damit rechnen, dass Fotos (wie das beim Urinieren) weitergegeben werden und könnte daher bereits vor der Weitergabe an die Zeitung präventiv Unterlassungsansprüche geltend machen. Gibt es genug Belege für eine so genannte “Verletzungsgefahr”, könnte das auch für den privaten Fotografen eine teure Abmahnung durch einen Rechtsanwalt bedeuten.

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Wichtiger Hinweis an alle “Bild”-Mitarbeiter

Mit zwei großen Ausrufezeichen, aber ohne erkennbaren Grund oder Zusammenhang richtet sich die “Bild”-Redaktion heute in ihrem Blatt “an alle BILD-Leser-Reporter”:

Ausriss Bild-Zeitung - Wichtiger Hinweis an alle Bild-Leser-Reporter - Bringen Sie weder sich selbst noch andere bei dem Versuch in Gefahr, ein Foto oder ein Video zu machen. - Seien Sie beim Fotografieren rücksichtsvoll und beachten Sie geltende Gesetze. - Ach­ten Sie stets darauf, dass Sie zum Bei­spiel bei Un­fäl­len nie­mals die Ret­tungs­kräf­te oder die Po­li­zei be­hin­dern. Bedenken Sie: Wer an einem Un­fall­ort zunächst Fotos macht und sich erst da­nach um die Un­fall­op­fer küm­mert, macht sich strafbar. - Wahren Sie die Per­sön­lich­keits­rech­te an­de­rer Men­schen, verletzen Sie niemals die Privatsphäre oder die Intimsphäre anderer Menschen. - Senden Sie nur Fotos an BILD, die Sie selbst gemacht haben. Nur, wenn Sie die Urheberrechte an einem Foto besitzen, können Sie damit BILD-Leser-Reporter werden.
(Draufklicken für größere Version.)

Unter anderem auch mit diesem Absatz:

Wahren Sie die Per­sön­lich­keits­rech­te an­de­rer Men­schen, verletzen Sie niemals die Privatsphäre oder die Intimsphäre anderer Menschen.

Und diesem:

Senden Sie nur Fotos an BILD, die Sie selbst gemacht haben. Nur, wenn Sie die Urheberrechte an einem Foto besitzen, können Sie damit BILD-Leser-Reporter werden.

Was angeblich für “BILD-Leser-Reporter” gelten soll, scheint nicht für die “Bild”-Mitarbeiter selbst zu gelten. In dem noch jungen Jahr haben sie jedenfalls schon zahlreich diese Grundsätze missachtet. Nachdem zum Beispiel ein 7-Jähriger zu Tode gequält wurde, zeigte Bild.de ein unverpixeltes Foto auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - Eltern und Bruder angeklagt - Junge (7) geötet, weil er Bibelverse vergaß - dazu ein unverpixeltes Foto des Jungen
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Nachdem zwei Jugendliche auf ein Bahngleis geschubst und von einer S-Bahn überfahren wurden, zeigte “Bild” auf der Titelseite unverpixelte Fotos der beiden:

Ausriss Bild-Titelseite - F (16) und L (16) von S-Bahn überrollt - zwei 17-Jährige in U-Haft - Nach Disco in den Tod gestoßen - dazu zwei unverpixelte Fotos der verstorbenen Jugendlichen

Die Familien wehrten sich gegen die Veröffentlichung.

Nachdem bei einem Unfall fünf Kinder starben, zeigte Bild.de zwei von ihnen unverpixelt:

Screenshot Bild.de - Sie waren nicht angeschnallt - Fünf Kinder sterben bei Horror-Unfall. Dazu ein Foto, das zwei der Kinder, die bei dem Unfall gestorben sind, zeigt.

Nachdem eine 19-Jährige wohl aus Versehen von ihrem Vater erschossen wurde, zeigte “Bild” ein unverpixeltes Foto:

Ausriss Bild-Zeitung - Tragödie in der Wohnung - Jäger erschießt seine Tochter (19) - dazu ein unverpixeltes Foto der Tochter

Nachdem ein Mann bei einem Lawinenunglück ums Leben kam, zeigte “Bild” ihn unverpixelt auf der Titelseite:

Ausriss Bild-Titelseite - Seine Freundin sah alles mit an - Doppel-Lawine töte Mathe-Lehrer - Die erste überlebte er noch, die zweite begrub ihn - dazu ein unverpixeltes Foto des Verstorbenen

Auch hier wehrte sich die Familie gegen die Verwendung des Fotos.

Dass solche Schweinereien nicht in Ordnung sind, egal, ob “BILD-Leser-Reporter” oder bigotte “Bild”-Redakteure dafür verantwortlich sind, zeigt schon ein Blick in den Pressekodex. Dort steht:

Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

Und speziell zu Kindern und Jugendlichen:

Insbesondere in der Berichterstattung über Straftaten und Unglücksfälle dürfen Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in der Regel nicht identifizierbar sein.

Dazu auch:

Mit Dank an Markus S. und @Nordhessische für die Hinweise!

Freigestellte Gegenwehr, Rechte Schläger, TripAdvisor-Selbstversuch

1. Freigestellter WDR-Mitarbeiter wehrt sich gegen Vorwürfe
(sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Im Fall um die angeblichen sexuellen Belästigungen beim WDR geht nun der freigestellte Mitarbeiter Gebhard Henke mit seinem Namen an die Öffentlichkeit. Henke, der beim WDR den Programmbereich Fernsehfilm, Kino und Serie verantwortet, gibt an, sich nie in dieser Weise verhalten zu haben, und fordert den Sender auf, die Vorwürfe zu konkretisieren oder seine Freistellung zurückzuziehen.
Weiterer Lesetipp: WDR stellt weiteren Mitarbeiter frei (sueddeutsche.de)

2. Ein Anwalt für den Leser
(deutschlandfunk.de, Vera Linß)
Bisher agieren die wenigen Ombudsmänner verschiedener Medien weitgehend allein und isoliert, doch nun soll ein Verein die Einzelkämpfer miteinander vernetzen.

3. Fotografen im Eichsfeld von rechten Schlägern angegriffen
(mdr.de)
Als Fotografen das Haus des Thüringer NPD-Chefs Thorsten Heise ablichteten, wurden sie von zwei maskierten Männern der rechtsextremen Szene vertrieben und verfolgt. Dabei sollen die Verfolger den Wagen der Fotografierenden demoliert, die Männer verletzt und die Kamera entwendet haben. Bei den Angreifern soll es sich nach Angaben der Thüringer Bundestagsabgeordneten Martina Renner (Linke) um einen NPD-Funktionär im niedersächsischen Landesvorstand und den Vertreter eines mittlerweile aufgelösten Holocaustleugner-Netzwerks handeln. Nun ermittelt der Staatsschutz.

4. Sind Computerspiele wirklich Sport?
(digitalpresent.tagesspiegel.de, Oliver Voss)
E-Sport hat in den vergangenen Jahren einen wahren Boom erlebt und Berlin scheint immer mehr die Hauptstadt der Gamer zu werden. Anlässlich der „Games Week Berlin“ wurde darüber diskutiert, ob E-Sport wirklich Sport ist. Die Groko-Parteien zeigen sich aufgeschlossen und haben in den Koalitionsvertrag geschrieben: „Wir werden E-Sport künftig vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht anerkennen.“ Die großen Sportverbände wie der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) sind momentan jedoch wenig überzeugt.

5. „Newstrends: Roboterjournalismus in Nachrichtenredaktionen. Wie News-Bots die Nachrichtenproduktion verändern.” (Stand: Mai 2018)
(stefre.de, Stefan Frerichs)
Wie wirkt sich Roboterjournalismus auf die Arbeit in Nachrichtenredaktionen aus? Entlasten News-Bots die Redaktionen von Routineaufgaben oder verschärfen sie Arbeitsverdichtung und Personalabbau? Diesen Fragen geht Stefan Frerichs in seinem Aufsatz nach. Sein Resümee: „Journalisten sollten nicht versuchen, Nachrichten-Bots zu besiegen, sondern lernen, mit ihnen zu arbeiten.“

6. Paris von oben bis unten
(sz-magazin.sueddeutsche.de, Dirk Gieselmann)
Auf der Reiseplattform TripAdvisor kann man erfahren, wohin man in einer Stadt unbedingt gehen und wovon man die Finger lassen sollte. Das „SZ-Magazin“ hat den Autor Dirk Gieselmann nebst Fotograf Muir Vidler nach Paris geschickt, die dort in einer vielgelobten Luxusherberge und einer gruseligen Billig-Absteige eingecheckt haben, vor der die TripAdvisor-Gemeinde ausdrücklich gewarnt hatte.

Sondertrack re:publica 2018: Empfehlungen für Besucher und Daheimgebliebene

1. rp18, #1: Der Unterschied zwischen CSU und Netzgemeinde (ist manchmal ziemlich klein)
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz freut sich wie jedes Jahr auf die re:publica, ist sich jedoch bewusst, dass dieses von den Beteiligten als Highlight des Jahres wahrgenommene Event gleichzeitig eine Nischen-Veranstaltung ist: „Weil ich selbst außerhalb der üblichen Filterblasen-Städte lebe und inzwischen zunehmend Wert darauf lege, der Blase und den üblichen Verdächtigen zu entkommen, mache ich gerne immer wieder mal das Spiel und erzähle dort beiläufig, beispielsweise auf der rp18 zu sein. Oder dort dem Lobo und all den anderen zuzuhören, die dort inzwischen jährlichen Auftritte zelebrieren, manchmal übrigens schon ein bisschen arg routiniert. Jedenfalls fällt mir dann immer auf, dass mich die meisten ganz groß anschauen: re:publica, Lobo? Nie gehört. So ist das, wenn man die eigene Blase mal verlässt.“

2. Vielfältiger Journalismus auf der re:publica 2018 #reddi
(watch-salon.blogspot.de, Mareice Kaiser)
Mareice Kaiser vom Journalistinnenbund hat eine Auswahl von Sessions, Workshops und Talks zu vielfältigem Journalismus und Frauen in den Medien zusammengestellt.

3. Deutschlandradio sendet live von der re:publica
(radioszene.de, Christopher Deppe)
Wer es dieses Jahr nicht auf die re:publica schafft, braucht sich nicht zu grämen: Viele Vorträge werden gestreamt oder landen bei YouTube. Und auch “Deutschlandfunk”, “Deutschlandfunk Kultur” und “Deutschlandfunk Nova” sind live mit dabei.

“Wer stoppt die verdammten Gaffer?” Bild.de auf jeden Fall nicht!

So sieht Heuchelei aus:

Screenshot Bild.de - Dreiste Schaulustige - Wer stoppt die verdammten Gaffer?

Gaffer seien “einfach die Pest”, heißt es in dem Artikel, den die Bild.de-Redaktion in ihrem überzeugten aufklärerischen Kampf gegen fotografierende und filmende Schaulustige blöderweise hinter der Paywall versteckt hat:

Sie glotzen, sie machen Selfies, sie behindern Rettungskräfte: Gaffer sind einfach die Pest! Doch was tun? BILD sucht Antworten (…)

Sie fotografieren und filmen Unfälle, statt Platz für die Helfer zu machen. Sie demütigen Opfer und Angehörige. Was hilft gegen sie?

Auf die Fragen, was gegen die schrecklichen Gaffer hilft und wer sie stoppen kann, haben auch wir keine endgültigen Antworten. Wir wissen aber, wer sie ganz sicher nicht stoppen wird: Redaktionen, die genau diese Gaffer durch das Versprechen von “bis zu 250 Euro” dazu verleiten, bei Unfällen stehenzubleiben, das Smartphone draufzuhalten und ein bisschen abzukassieren. Allen voran: Bild.de.

Screenshot Bild.de - Werden auch Sie zum Leser-Reporter! Haben Sie etwas fotografiert, das Bild drucken oder Bild.de veröffentlichen soll? Egal ob lustig, spektakulär, spannend oder kurios, die 1414-Redaktion will Ihr exklusives Foto und zahlt bis zu 250 Euro. Zum Upload-Formular - Verdienen Sie mit Ihrem Foto bis zu 250 Euro

Hier nur eine kleine Auswahl von dem, was da so reinkommt und bei Bild.de veröffentlicht wird:

Collage mit Screenshots von Bild.de-Artikeln, die auf Leserreporter-Aufnahmen von Unfällen beruhen

Wirklich ernsthaft haben die Freiwillige Feuerwehr Osnabrück, der “Bürgerverein Wüste” sowie die Filmemacher der “Blickfänger GbR” etwas gegen Gaffer unternommen. Sie haben ein Video zum Thema produziert, das in den vergangenen Tagen häufig angeschaut wurde:

Auch Bild.de hat über “dieses Schock-Video” aus Osnabrück berichtet, das “Gaffer abschrecken” solle. Es tauchte sogar auf der Startseite des Portals auf. Direkt darüber und deutlich größer ein anderes Video: “Augenzeuge filmt Mega-Karambolage mit 40 Autos”:

Screenshot von der Bild.de-Startseite, der die zwei Video übereinander zeigt

Dazu auch:

Mit Dank an Martin G., Patrick B. und @igwigg für die Hinweise!

Drei heiße Tipps fürs Sommerloch

Es beginnt immer damit, dass irgendjemand aus der Redaktion an einem Montagmorgen feststellt: Gar nicht so viel los heute. Vier Kollegen im Urlaub. Um 10 Uhr keine Pressekonferenz. Und anscheinend auch sonst keine Termine. Dann schauen sich die Redakteure den Kalender noch einmal ganz genau an und sehen, dass sich daran auch in den darauf folgenden Tagen nichts ändern wird. Zwei Stunden später versiegt überraschend der E-Mail-Fluss. Aber daran, dass die Penis-Verlängerungsangebote auch weiterhin im Minutentakt eintrudeln, ist zu erkennen, dass es an der Technik wohl nicht liegen wird. Und so wird langsam allen klar: Das muss das Sommerloch sein.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Bauchchirurg schneidet hervorragend ab — Perlen des Lokaljournalismus”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Das Sommerloch öffnet sich in jedem Jahr ungefähr zur gleichen Zeit, kommt aber trotzdem immer unerwartet. Kein Redakteur hat je damit gerechnet. Daher ist auch noch nie etwas vorbereitet worden. Es müssen schnelle Lösungen her.

Vor allem Lokalredaktionen haben das Glück, sich in diesem frühen Stadium noch ein paar Tage mit Umfragen über Wasser halten zu können. Freie Mitarbeiter schwärmen in die Fußgängerzonen aus, um dort Menschen, die für einen kurzen Moment unachtsam sind, um ihren Content zu erleichtern:

“Was ist Ihre Lieblings-Eissorte?”

“An welchem Ort genießen Sie die Sonne?”

“Wohin geht’s dieses Jahr in den Urlaub?”

Viele Leser warten schon seit Monaten darauf, dass diese Fragen endlich beantwortet werden. Die Redakteure wissen das natürlich und räumen den Umfragen entsprechend viel Platz ein. Aber nach ein paar Tagen geht auch dieser Vorrat zur Neige. Und dann bleibt nur noch eine allerletzte thematische Reserve: getürmte Tiere im Tümpel.

Sobald die Nachricht die Runde macht, dass wieder irgendein Viech ausgebüxt ist, sprechen sie in den Redaktionen die ersten Gebete, es möge bitte so lange wie möglich verschollen bleiben, damit sein Verschwinden auch in den nächsten Tagen noch Anlass für Berichte über die Suchaktionen, das weitere Vorgehen und Spekulationen liefert. Meistens wird es dann aber doch schnell wiedergefunden.

Das stellt die Redaktion vor größere Probleme, denn wie soll es weitergehen — ganz ohne Inhalte? Das rettende Ufer des Ferienendes ist noch nicht mal in Sichtweite. Es herrscht Ratlosigkeit. Die Redaktion stürzt in eine tiefe Krise. Und da kommen wir ins Spiel.

Hier wären drei praktische Tricks, die in Not geratenen Redaktionen garantiert helfen, das Sommerloch zu überwinden …

1. Die Ausschluss-Frage
Schauen Sie doch mal nach, ob im Postfach noch zwei Polizei-Meldungen liegen. Irgendwas aus den vergangenen Tagen. Der Handtaschen-Raub in der Innenstadt, der angefahrene Hund an der Gartenstraße. So was in der Art. Sie wissen schon. Haben Sie was gefunden? Gut. Dann rufen Sie doch mal die Polizei-Pressestelle an und fragen:

“Können Sie ausschließen, dass es zwischen den Taten einen Zusammenhang gibt?”

Können sie nicht? Aha. Das ist ja interessant. Vielleicht können die Polizisten sogar nicht einmal ausschließen, dass dieser Täter auch für den umgeworfenen Grabstein auf dem Friedhof neulich verantwortlich war und für den Sparkassen-Überfall am vergangenen Dienstag? Finden Sie nicht, dass Ihre Leser das wissen sollten? Schreiben Sie es auf — am besten so, wie der Polizei-Pressesprecher es Ihnen gesagt hat.








Und wo Sie den Mann schon mal dran haben: Fragen sie doch mal, ob die Polizei ausschließen kann, dass der Taschendieb neulich im Stadtpark ein Triebtäter war. Kann die Polizeistelle auch nicht ausschließen? Oha. Das ist dann ja vielleicht sogar was für die Seite eins.

2. Die Metamorphosen-Meldung
Sie finden gar keine Polizei-Meldungen in Ihrem Postfach? Kein Problem. Auch für den Fall hätten wir was. Haben wir hier im vergangenen Jahr schon erwähnt. Ist aber immer noch aktuell. Die Ausschnitte hier sind erst ein paar Tage alt.








Und warum soll das Format nicht auch in anderen Ressorts funktionieren?

Vielleicht haben Sie noch Fotos, die den Stadtpark im Winter zeigen. Vielleicht finden Sie sogar noch welche aus dem Herbst. Machen Sie eine Serie draus. So sieht der Stadtpark doch jetzt nicht mehr aus, oder?

Oder machen Sie einen Screenshot von Ihrer Nachrichten-Website. Mit jeder neuen Meldung in ihrem Angebot wird der historische Screenshot zu wertvollem Content.

Ach, und fragen Sie die Kollegen aus dem Sport. Suchen Sie sich die Tabelle der Fußball-Landesliga raus, am besten die von vor drei Wochen. Da hat sich doch kurz vor Saison-Ende noch einiges getan, oder? Sehen Sie. Die Leute lesen so was.

Und wenn die Kollegen aus dem Sport gerade im Urlaub sind, auch nicht schlimm. Fotografieren Sie einen Politiker, geben Sie ihm einen Kamm in die Hand, und danach fotografieren Sie ihn noch mal. Das geht ganz schnell. Und das funktioniert auch im überregionalen Politik-Teil.

Sagen Sie das am besten auch den Kollegen aus den anderen Ressorts. Die freuen sich. Bei denen ist über die Sommermonate ja auch nicht viel los.

3. Spekulative Hard Facts
Die Metamorphosen-Meldung gefällt Ihnen auch nicht so gut? Dann hätten wir noch einen dritten Vorschlag. Der ist garantiert was für Sie. Gibt es nicht noch irgendeine Meldung, die Sie wirklich gerne bringen würden? Denken Sie mal nach. Diese Brücke, die schon so lange gesperrt ist, die müsste doch langsam mal wieder freigegeben werden. Oder diese Straße. Irgendwie hat man auch den Eindruck, dass das Freibad demnächst für länger schließen könnte. Oder? Und in Richtung der Straßenbahn-Haltestelle hat’s doch gestern Abend so einen lauten Knall gegeben. Klang das nicht ein bisschen wie ein Pistolenschuss? Finden Sie auch? Will aber keiner bestätigen? Egal. Schreiben Sie’s einfach. Die anderen machen’s ja auch. 




Auch mal die andere Seite zeigen

Wenn bei schlimmen Unfällen auf öffentlichen Straßen Feuerwehrleute und Sanitäter anrücken, haben sie in der Regel auch eine oder mehrere Decken dabei. Die halten sie dann als Sichtschutz vor die Verletzten, damit vorbeifahrende Gaffer nicht gaffen und allzu sensationsgeile Fotografen nicht fotografieren können.

Am vergangenen Samstag gab es so einen Unfall in Ruhpolding. Mehrere Kinder wurden beim Überqueren einer Straße von einem Auto angefahren und dabei teilweise sehr schwer verletzt. Die Feuerwehr und die Sanitäter rückten also an, packten auch eine Decke aus und hielten sie vor die Verletzten, während diese vor Ort behandelt wurden.

Und was macht ein Fotograf, der keine Rücksicht auf irgendwas kennt, in so einer Situation? Geht einfach auf die andere Seite der Decke und macht vorn dort aus seine Aufnahmen. Einige Medien haben diese Fotos dann auch noch gebracht.

Bild.de zum Beispiel:


(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Artikel durch uns.)

Oder “Bild”:

BR.de:

abendzeitung-muenchen.de:

chiemgau24.de:

pnp.de:

Unser Leser Götz Marx hat eine Idee, was beim Anblick der Decke wohl im Kopf des Fotografen vorgegangen sein muss: “Der BILD-Fotograf dachte wohl, die Feuerwehrleute halten die Decke bei den Opfern nur deswegen hoch, damit er nicht gegen die Sonne fotografieren muss!”

Mit Dank an Götz M. für den Hinweis!

Nachtrag, 13. September: Die Redaktion von BR.de hat das Foto inzwischen aus der Galerie entfernt.

Hallöchen Voyeurchen

Stellen Sie sich mal vor, Sie sind Redakteur bei der “Bild”-Zeitung. Okay, vielleicht etwas heftig …

Stellen Sie sich mal vor, Sie sind Redakteur bei einer Zeitung. Am Mittwochmittag erreicht Sie die Mail eines Lesers, in der er Ihnen Fotos eines Liebespaares anbietet. Das Paar knutscht auf einer Wiese mitten in Bremen, und als sich die Frau über den Mann beugt, um ihn weiter zu küssen, rutscht ihr Rock hoch. Man kann auf den Fotos ihren Hintern und ihren Tanga gut erkennen. Es dürfte sich bei den Leuten nicht um Prominenten handeln. Der Leser schreibt Ihnen noch:

“Die beiden waren so mit sich beschäftigt, dass sie die nur wenige Meter entfernt sitzenden anderen Menschen überhaupt nicht mehr wahrgenommen haben. Ich würde das als schweres Fummeln bezeichnen!”

Welcher Gedanke gehen Ihnen als Blattmacher durch den Kopf?

Mögliche Reaktion 1:
“Moment mal! Das ist doch aber gar nicht in Ordnung, einer Frau unter den Rock zu fotografieren. Klar, man könnte jetzt sagen: Selbst schuld, wenn die zwei da in aller Öffentlichkeit so eine Nummer abziehen. Aber reicht es nicht, dass die Leute drumherum das Ganze gesehen haben? Und die beiden konnten ja auch nicht wissen, dass da irgendein notgeiler Passant direkt sein Handy zückt, Fotos macht und für ein paar Euros das Material an eine Zeitung verkauft. Ich will nicht alles noch peinlicher für das Liebespaar machen und Fotos von nackten Hintern groß in meiner Zeitung mit einer hohen Auflage veröffentlichen. Die Leute auf den Fotos haben schließlich auch eine Würde. Und die will ich ja nicht mit den Füßen treten.”

Mögliche Reaktion 2:
“Boah! Geil! Geiel!! GEIEL!!! Ein nackter Arsch! Darauf habe ich heute den ganzen Tag gewartet. Das bringen wird groß, ach was, riesengroß. Und gleich mit drei Fotos. Dann müssen unsere Leser morgen auch gar nicht auf ihren Lieblingspornoseiten nach Voyeur-Filmen suchen. Und dann packen wir noch ein paar gute Wortspiele dazu. Sowas wie: ‘Hallöchen Popöchen!’ oder ‘Heißes Wetter, heiße Show’. Das wird der Knaller! Vielleicht können wir daraus ja auch eine Serie machen. Morgen schicken wir erstmal den Praktikanten los und lassen ihn nach der Alten fahnden: ‘Ich bin der geile Arsch von der Wiese.’ Und dann suchen wir noch andere Leute, die schon mal jemanden in der Öffentlichkeit geküsst haben. Und dazu bringen wir noch ein Interview mit Nacktschnecke Micaela Schäfer. Vielleicht zeigt die uns ja auch noch ihre Hupen — Jackpot! Ich liebe meinen Job! Genau für solche Geschichten bin ich Journalist geworden!”

Für welche Variante sich die Bremen-Redaktion der “Bild”-Zeitung und Bild.de entschieden haben?


(Nur der Vollständigkeit halber: Unkenntlichmachungen durch uns.)

Mit Dank an basti!

Der ehrenhafte Julian Reichelt und die grausamen Fotos aus Syrien

Sehr geehrter Herr Andreas Fischer,

es bereitet mir körperliche Schmerzen, in der Anrede diese Höflichkeitsformel zu verwenden, weil ich nach Ihrer Entscheidung an Ihnen, Ihrer Institution, Ihrem Weltbild und Ihrem Verständnis von der Pressefreiheit nichts Ehrenhaftes finden kann.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass diese Zeilen von Julian Reichelt stammen, dem Online-Chef der „Bild“-Zeitung.

Reichelt empört sich mit diesem Schreiben über eine Entscheidung der Kommission für Jugendmedienschutz. Die hatte auf Bild.de einen „Verstoß gegen die Menschenwürde“ festgestellt:

Bei dem geprüften Angebot handelt es sich um einen Bericht über den Syrienkrieg, der die Folgen von Bombenangriffen des syrischen Präsidenten Assad auf die Zivilbevölkerung thematisiert. Zur Illustration der Lage in Syrien werden verschiedene Fotografien von schwer verletzten oder toten Babys und Kindern gezeigt. Die Gesichter der Kinder sind dabei unverfremdet in Nahaufnahme zu sehen, sodass die Opfer identifizierbar sind. Zudem wird der Effekt durch die Möglichkeit zur großformatigen Darstellung durch Anklicken verstärkt.

Nach Ansicht der KJM verstoßen zwei der Darstellungen gegen die Bestimmungen zur Menschenwürde, da die Opfer auf diesen Bildern deutlich zu erkennen sind. Das Leiden und Sterben der Kinder wird zur Schau gestellt und sie werden dadurch zu Objekten der Schaulust degradiert. Auch wenn es sich um ein tatsächliches Geschehen handelt, besteht nach Meinung des Gremiums kein berechtigtes Interesse an dieser Art der Darstellung, da eine Verpixelung der Bilder die Aussagekraft des Artikels nicht geschmälert hätte.

Verstöße gegen die Bestimmung zur Menschenwürde liegen insbesondere dann vor, wenn Menschen leidend oder sterbend dargestellt und dabei zum Objekt herabgewürdigt werden. Darüber hinaus muss die Darstellung ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, ohne dass ein berechtigtes Interesse gerade für diese Form der Darstellung oder Berichterstattung vorliegt. Reine Geschmacksfragen spielen bei Prüfungen der KJM keine Rolle.

Ich bin bei solchen grausamen Fotos aus Krisengebieten oft unentschlossen: Muss das ein? Darf man das zeigen? Muss man das zeigen?

Einerseits: Die Gefahr, dass Menschen zu bloßen Objekten werden, zum grausigen Clickbait für die Katastrophenvoyeuristen, ist sehr groß. Andererseits sind solche Fotos wichtig und notwendig, um Dinge in Bewegung zu setzen, um ein realistisches Bild der Welt zu vermitteln und um sie für die Leser greifbar zu machen.

Das Foto aus dem “Bataclan” nach den Anschlägen von Paris war so ein Fall. Viele Leser haben uns damals empörte Mails geschrieben, weil darauf die blutverschmierten Leichen in dem Konzertsaal zu sehen sind. Ich kann die Aufregung verstehen. Ich kann aber auch die Leute verstehen, die dieses Foto brauchten, um sich ein Bild von dieser schlimmen Tat zu machen, um zu begreifen, was dort passiert ist, und vielleicht auch um zu erkennen, dass sie das selbst hätten sein können.

Ob man das Foto riesengroß auf der Startseite zeigen muss, ist freilich eine andere Frage.

Die KJM hat die Veröffentlichung des “Bataclan”-Fotos auf Bild.de übrigens nicht beanstandet. Das Portal verstoße damit nicht gegen die Menschenwürde, weil:

Zum einen bietet das in das Angebot eingebundene Foto einen Überblick über einen großen Ausschnitt des gesamten Tatorts. Die Leichen nehmen dabei nur einen geringen Teil an der Gesamtfläche der Abbildung ein. Gesichter sind nicht zu erkennen und es werden keine Verletzungen in den Fokus der Abbildung gerückt. Somit wurde die Subjektqualität der abgebildeten Menschen nicht missachtet. Zum anderen umfasst die Pressefreiheit die freie Wahl der Art und Weise, in der über ein Ereignis berichtet wird. Der Artikel behandelt ein Ereignis des aktuellen Tagesgeschehens von größtem öffentlichem Interesse und das Foto soll die Dramatik der Ereignisse sowie ihre schrecklichen Folgen veranschaulichen. Es kann zudem angenommen werden, dass Bilddokumente die Authentizität der Berichterstattung erhöhen. Somit lag ein berechtigtes Interesse für die Form der Darstellung und Berichterstattung vor.

Ähnlich sieht es auch der Deutsche Presserat.

So kann man sicher auch in diesem Fall, bei den grausamen Fotos aus Syrien, über die Entscheidung der KJM diskutieren.

Aber Diskussionen mit Julian Reichelt sind so eine Sache. Wer anderer Meinung ist, ist sofort sein Feind, und Reichelt wird jedes „Nein“ mit einem doppelt so lauten „Doch“ übertönen, koste es, was es wolle, und wenn es das Letzte ist, was …

Um es gleich zu sagen: Die Entscheidung, die Sie getroffen haben, ist schrecklich und falsch. Wir werden sie nicht akzeptieren, sie nicht hinnehmen und mit allen Mitteln – juristisch, journalistisch, politisch – dagegen vorgehen, bis Sie sich korrigieren oder korrigiert werden und anerkennen, dass Sie bei der Wahrnehmung des Ihnen erteilten Auftrags schlicht versagt haben.

Und so lärmt Reichelt in denkbar größtmöglichen Kategorien gegen die KJM-Entscheidung.

Sie erheben gegen uns einen der in unserem Rechtssystem denkbar schwerstwiegenden Vorwürfe, nämlich dass wir mit unserer Berichterstattung gegen Artikel 1 unseres Grundgesetzes, gegen die Menschenwürde verstoßen, weil wir das unermessliche Leid in Syrien so drastisch darstellen wie es eben stattfindet, die dort begangenen Menschheitsverbrechen so schonungslos dokumentieren wie es unsere Pflicht ist – und nicht müde werden, dies zu tun und unsere Berichterstattung auch immer wieder in den eindeutig gegebenen politisch Zusammenhang stellen.

Dazu zwei Anmerkungen, eine grundsätzliche und eine persönliche.

Denn das ist es immer für Reichelt: grundsätzlich und persönlich. Er fühlt sich persönlich attackiert, wenn man „Bild“ kritisiert. Darum schlägt er auch persönlich zurück.

Erstens, ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ausgerechnet eine deutsche Institution im Angesicht von Menschheitsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine solche Entscheidung trifft und Berichterstattung über Tyrannei in irgendeiner Form zu beschneiden und einzuschränken versucht. Ihre Entscheidung und deren infame Begründung ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die aus der deutschen Geschichte gelernt und aus ihr heraus unser Grundgesetz geschaffen haben. Und es ist nicht weniger als ein Angriff auf einen anderen Artikel unseres Grundgesetzes, nämlich auf die Pressefreiheit.

Zweitens, ich habe als Reporter über zehn Jahre hinweg aus Syrien über den Krieg berichtet. Viele Szenen, wie unsere Fotos sie zeigen, habe ich selbst erlebt und fotografisch dokumentiert. Da Ihnen offenbar jedes Maß und jegliches Urteilsvermögen fehlen, da Sie – seien Sie dankbar dafür – vergleichbare Situationen offenbar nie erleben mussten, lassen Sie mich Ihnen sagen: Nicht das Foto ist die Verletzung der Menschenwürde, sondern die Fassbombe, der Giftgasangriff, das Schrapnell, das ein Kind von innen zerfetzt. Niemals werden wir uns vorschreiben lassen, wie wir solch abscheuliche Taten, diesen Zivilisationsbruch zu dokumentieren haben. Dass wir uns von Menschen „kontrollieren“ lassen müssen, die sich – aus welchen Motiven auch immer – zu solch schrecklichen Entscheidungen verleiten lassen, ist ein Hohn.

Man kann sich gar nicht vorstellen, wie viel Schaum dabei auf die Tastatur getropft sein muss, und das ist noch lange nicht das Ende (den Rest ersparen wir Ihnen – hier können Sie es nachlesen, wenn Ihnen danach ist).

Wenn Reichelt so herumtost, klingt es nicht, als hätte die KJM zwei Leichenfotos kritisiert, sondern als wollte sie der „Bild“-Zeitung grundsätzlich verbieten, das Grauen in Syrien zu dokumentieren. Anders gesagt:

Julian Reichelt ist unfähig, Kritik von Zensurversuchen zu unterscheiden. Wer bemängelt, dass „Bild“ die Hinrichtungsfotos des „IS“ verbreitet, ist ein Freund der Terroristen und will, dass gar nicht mehr über die Gräueltaten des „IS“ berichtet wird. Wer findet, dass man auch einen “Pegida”-Anhänger nicht heimlich in seiner Wohnungstür fotografieren darf, kämpft “für die Interessen von Pegida”. Wer “Bild” für die Berichterstattung über Flüchtlinge kritisiert, will “Bild” verboten sehen. Jede Forderung nach Zurückhaltung ist für Reichelt gleich ein antidemokratischer Akt, ein nicht hinzunehmender „Anschlag auf die Pressefreiheit“.

Auch nach diesem Eintrag wird Reichelt wahrscheinlich davon ausgehen (oder es zumindest so darstellen), als hätten wir vom zensorischen BILDblog es am liebsten, wenn “Bild” gar keine Fotos mehr aus Syrien zeigen würde. Aber noch mal: Es geht uns nicht um die Frage, ob man grausame Fotos grundsätzlich zeigen darf oder nicht, sondern darum, dass in jedem Einzelfall sorgfältig entschieden werden muss. Und es geht uns darum, auf welche Art und Weise Julian Reichelt auf die Entscheidung des KJM reagiert und wie er und sein Portal diese Entscheidung jetzt darstellen.

Gestern Abend erklärten sie:

Als hätte ihnen das jemand verboten.

“Bild”-Kommentator Ernst Elitz* fragt:

Was für eine Sicht auf die Welt haben diese Jugendschützer? Soll die Grausamkeit von Diktatoren nur noch vertuscht oder verpixelt an die Öffentlichkeit kommen? (…) Wer die Würde des Menschen schützen will, muss in solchen historischen Momenten auch seine Entwürdigung zeigen. Nicht um die Opfer „zur Schau zu stellen“, sondern um Abscheu vor den Tätern zu wecken.

Das ist unser journalistischer Auftrag. Im Interesse der Menschenwürde.

Als würde die Jugendmedienschützer das total anders sehen. Dabei sind die KJM, Julian Reichelt, Ernst Elitz und der Rest der “Bild”-Bande im Grunde alle einer Meinung. Natürlich dürften Medien Berichte über Kriege mit drastischen Fotos bebildern, sagte uns Andreas Fischer von der KJM auf Nachfrage. Aber da gebe es eben Grenzen, und diese Grenzen habe Bild.de hier mit zwei Fotos überschritten.

Insgesamt zeigt Bild.de in dem fraglichen Artikel 15 Fotos von verletzten oder toten Menschen, die meisten davon Kinder. Ganze Hallen voller Leichen. Überall Trümmer, Verletzte und Blut. Nur zwei der Fotos hat die KJM beanstandet, unter anderem die Nahaufnahme eines toten Babys.

Die KJM will nicht alle Kriegsfotos verbieten. Sie will, dass Opfer nicht ein zweites Mal zu Opfern werden und Journalisten bei jedem einzelnen Foto abwägen.

“Bild” aber will nicht abwägen, sondern zeigenzeigenzeigen.

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